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Der Bezoar – Antidot, Sammlerstück, Magenstein

Einst ein heiss begehrtes Heilmittel, später als Schmuckstück in Gold gefasst und heute ein museales Kuriosum: Der Bezoar blickt auf eine erstaunliche Karriere zurück. Entstanden im Magen von Tieren, galt er über Jahrhunderte hinweg als wirksames Antidot gegen Gifte und als universelles Heilmittel gegen alles vom Fieber bis zur Melancholie. Doch was macht diesen merkwürdigen Magenstein so besonders? Eine Reise durch Medizingeschichte, Aberglauben und die frühen Wurzeln der Toxikologie führt uns zum faszinierenden Kultobjekt einer vergangenen Zeit.

Ihre Oberfläche ist bräunlich oder gelblich, manchmal grün und meist wurden sie in die Form einer unregelmäßigen Kugel gebracht. Unscheinbar und unansehnlich – das ist der erste Eindruck, den sogenannte Bezoare erwecken (Abb. 1). Und doch waren sie heiß begehrt und wurden für ein Vermögen gehandelt. Was hat es mit diesen wundersamen „Steinen“ mit dem merkwürdigen Namen auf sich?

Abb. 1: Bezoar eines Kamels und eines unbekannten Tiers, vermutlich aus Algerien, 17. –18. Jahrhundert, London, Science Museum, Inv. Nr. A635027 und A635026

Bezoar – das Wort klingt fremdartig und geheimnisvoll. Es hat seinen Ursprung im persischen Wort „pādzahr“ und bedeutet so viel wie „der, der vor Gift schützt“.[1] Ab dem 12. Jahrhundert verbreitete sich das Wissen um diesen vermeintlich heilkräftigen Stein in Europa. Bis zum 16. Jahrhundert durften Bezoare und daraus hergestellte Arzneien in keiner Apotheke, keiner Mineraliensammlung und in keiner fürstlichen Kunstkammer fehlen.

Abb. 2: Bergziege mit Querschnitt eines Bezoars, aus: Pierre Pomet, Histoire générale des drogues, traitant des plantes, des animaux et des minéraux, Paris 1694

Tatsächlich ist der Bezoar kein Stein im eigentlichen Sinn. Es handelt sich um Konkremente aus unverdauten Pflanzenfasern und Haaren, die sich in den Verdauungstrakten von Wiederkäuern, wie Ziegen, Schafen, Kamelen, Lamas oder Antilopen, aber auch anderen Säugetieren und sogar Reptilien finden. Diese Magensteine verfügen über einen zwiebelartigen Aufbau. Schicht um Schicht legt sich um einen unverdaulichen Kern (Abb. 2). Je länger der Bezoar im Körper des Tieres verweilt, desto größer und wertvoller wird er.

Abb. 3: Ring mit Bezoar, ca. 1650–1700, Stockholm, Livrustkammaren, Inv. Nr. 1188_LRK

Der Handel mit dem fernen Osten und der „Neuen Welt“ brachte zahlreiche Bezoare nach Europa und mit ihnen den Glauben an ihre vermeintlich magische Wirkung. Erstmals hatten arabische Ärzte im Mittelalter von der antitoxischen Qualität des Bezoars berichtet.[2] Prophylaktisch als Amulett und Ring am Körper getragen (Abb. 3) oder als Pulver eingenommen, sollte der Stein Vergiftungen verhindern oder bereits vorhandenes Gift aus dem Körper ziehen können. Später sagte man dem Bezoar nach, bei sämtlichen Krankheiten Abhilfe schaffen zu können: bei hohem Fieber, bei der Pest, aber auch bei Melancholie. Kurzum: der Bezoar galt als Allheilmittel.

Abb. 4: Jan Vermeyen, Bezoar-Deckelschale auf hohem Fuß, ca. 1600, Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv. Nr. KK 3259

Die Angst vor Giftanschlägen war seit der Antike weit verbreitet. Anders als bei bewaffneten Angriffen auf Leib und Leben konnte man sich vor Gift kaum schützen. Arsen, das gerne als Mordwaffe zum Einsatz kam, war geruch- und geschmacklos und daher besonders tückisch. Man versuchte dem auf verschiedene Weise vorzubeugen und fertigte Objekte oder Trinkgefäße an aus angeblich giftneutralisierenden Materialien (Abb. 4). Neben dem Bezoar waren das beispielsweise die rote Koralle[3], das Horn des Rhinozeros oder das vermeintliche Horn des Einhorns[4]. In ein solches Gefäß gefüllte, giftige Substanzen – so glaubte man – werden bei der Berührung unschädlich gemacht. Beliebt waren auch kleinere, an Ketten befestigte Bezoare, die man „wie einen Teebeutel“[5] in ein Getränk tunken konnte. Völlig aus der Luft gegriffen waren diese Überlegungen im Fall des Bezoars jedoch nicht. Der Schwefelgehalt von halbverdauten Haaren hatte tatsächlich eine gewisse neutralisierende Wirkung gegenüber Arsen.[6]

Abb. 5: Bezoar in Filigranfassung, 4. Viertel 17. Jahrhundert, Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv. Nr. KK 1001

Trotz oder vielleicht auch wegen ihres wenig attraktiven Äußeren wurden Bezoare oft aufwendig gefasst. Die filigranen Goldschmiedearbeiten werteten den Stein optisch auf und verwandelten ihn in eine kostbare Pretiose (Abb. 5). Eine möglichst umfangreiche Sammlung von Bezoaren sollte abschreckend wirken und suggerieren: Ich bin vor Giftanschlägen gewappnet – jeder Versuch ist zwecklos! Kaiser Rudolf II. (1552–1612) beispielsweise, dessen Prager Kunstkammer bis heute legendär ist, konnte zahlreiche solcher Steine und „geschirrle von lapis bezoar“ sein Eigen nennen.[7]

Abb. 6: Johann Theodor de Bry, Porträt des Caspar Bauhin, aus: Caspar Bauhin: De hermaphroditorum monstrosorumque partuum natura ex Theologorum, Jureconsulorum, Medicorum, Philosophorum, et Rabbinorum sententia (…), Bd. 2, Oppenheim 1614

Abb. 7: Lapis Bezaar aus: Caspar Bauhin, De Lapidis Bezaar Orient. Et Occident. Cervini Item Et Germanici Ortv, Natvra, Differentijs, Veróque vsv Ex Veterum & Recentiorum placitis Liber, Basel 1613

Der Baseler Mediziner Caspar Bauhin (1560–1624) widmete dem Bezoar mit De lapidis bezaar (1613) einen ganzen Traktat.[8] Darin trug er das damalige Wissen über diese Steine und verschiedene Berichte über deren angebliche Wunderwirkung zusammen (Abb. 6 und 7). Nicht jeder hatte derartigen Theorien Glauben geschenkt. Zu den großen Skeptikern gehörte der französische Chirurg Ambroise Paré (ca. 1510–1590). Er wollte den Bezoar in einem öffentlichen Experiment auf die Probe stellen. Einen Koch, der wegen schweren Diebstahls angeklagt und zum Tode verurteilt worden war, konnte er als „Versuchskaninchen“ gewinnen. Sollte dieser das Experiment überleben, versprach man ihm die Freiheit. Paré gab ihm zunächst Gift und anschließend zerstoßenen, in Wasser gelösten Bezoar. Der Koch starb qualvoll und Paré fühlte sich in seiner Kritik bestärkt. Die Beliebtheit der Bezoare konnte das jedoch vorerst nicht schmälern.[9]

Abb. 8: Lama (“Allocamelus”), aus: Conrad Gessner, Thierbuch/ Das ist/ Außführliche beschreibung/ und lebendige ja auch eigentliche Contrafactur und Abmahlung aller Vierfüssigen thieren/ so auff der Erden und in Wassern wohnen (…), Heidelberg 1606

Tiere, die in der Lage sind Bezoare zu produzieren, wurden auf gut Glück gejagt und massenhaft abgeschlachtet. Längst fand sich nicht in jedem Tier der erhoffte Stein und so wurde etwa in Südamerika die Zahl der wilden Vicuñas oder Guanacos mit Ankunft der spanischen Eroberer drastisch dezimiert (Abb. 8).[10] Um den stetig wachsenden Bedarf an Bezoaren zu stillen, kamen auch Fälschungen, bzw. künstlich hergestellte Steine auf den Markt. Die im peruanischen Lima oder indischen Goa lebenden Jesuiten hatten hierauf im 17. Jahrhundert das Monopol. Diese menschengemachten Bezoare waren auch als „Goa-Steine“ bekannt (Abb. 9). Sie bestanden aus einer Mischung von mineralischen, vegetabilen und animalischen Komponenten wie etwa Ton, zerstoßenen Muscheln oder Korallen, Ambra, Moschus, Harz und verschiedenen Edelsteinen. Die „Goa-Steine“ standen den „richtigen“ Bezoaren in ihrer Popularität in nichts nach und wurden ebenso kunstvoll präsentiert.[11]

Abb. 9: Goa-Stein mit Goldfassung, spätes 17.– 18. Jahrhundert, New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 2004.244a–d

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts hat der Bezoar seinen Status unter den Medicinalia verloren. Er wurde zu dem, was er eigentlich ist: ein (veterinär-)medizinischer Befund, der seinem Träger – sei es Lama, Ziege oder Kamel – im Ernstfall Beschwerden bereitet und früher oder später zu dessen Tod führen kann. Heute hat der Bezoar aufgrund seiner oft aufwendigen Einfassung seinen Platz ausschließlich im musealen Kontext, dient als Kuriosität und obskures Zeugnis vergangener Zeiten. Dennoch darf die akribische Auseinandersetzung mit der Gift neutralisierenden Wirkung dieser Steine vonseiten Medizinern und Naturforschern unterschiedlicher Nationalität als wichtiger Schritt in der Entwicklung der Toxikologie betrachtet werden.[12]

Anmerkungen

[1] Zu Bezoaren siehe (Auswahl): Marnie P. Stark, Mounted Bezoar Stones, Seychelles Nuts, and Rhinoceros Horns. Decorative Objects as Antidotes in Early Modern Europe, in: Studies in the Decorative Arts 11,1 (2003/4), S 69-94, hier: S. 70-76; Peter Borschberg, The Euro-Asian Trade in Bezoar Stones (approx. 1500 to 1700), in: Michael North (Hg.), Artistic and Cultural Exchanges Between Europe and Asia, 1400–1900. Rethinking Markets, Workshops and Collections, Farnham 2010, S. 29-43; Marcia Stephenson, From Marvelous Antidote to the Poison of Idolatry. The Transatlantic Role of Andean Bezoar Stones During the Late Sixteenth and Early Seventeenth Centuries, in: Hispanic American Historical Review 90,1 (2010), S. 3-38; Maria do Sameira Barroso, The Bezoar Stone. A Princely Antidote. The Távora Sequeira Pinto Collection, in: Acta medico-historica adriatica 12,1 (2014), S. 77-98; Beate Fricke, Making Marvels – Faking Matter. Mediating “virtus” Between the Bezoar and Goa Stones and their Containers, in: Christine Göttler und Mia Mochizuki (Hg.), The Nomadic Object. The Challenge of World for Early Modern Religious Art, Leiden und Bosten 2018, S. 342-367; Aneliya Stoyanova, Exotic Precious ‘Magic’. Early Modern Bezoars and the Austrian Habsburg Court in the Second Half of the 16th Century, in: Mila Mileva Maeva et al. (Hg.), Between the Worlds. Magic, Miracles and Mysticism. Bd. 3, Sofia 2020, S. 588-500; Mackenzie Cooley, Bezoar. Medicine in the Belly of the Beast, in: Mackenzie Cooley et al. (Hg.), Natural Things in Early Modern Worlds, London 2023, S. 52-84.[2] Fricke 2018, S. 71.[3] Siehe hierzu: https://www.aurorapharma.com/rote-koralle-wundermittel/[4] Siehe hierzu: https://www.aurorapharma.com/einhorn-kunst-medizin-mythos/[5] Cooley 2023, S. 56.[6] Stark 2003/04, S. 92, Anm. 12; Sameiro Barroso 2020, S. 46.[7] Rotraud Bauer und Herbert Haupt, Das Kunstkammerinventar Kaiser Rudolfs II. 1607–1611, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien 72 (1976), S. 78, Nr. 1451-1467.[8] Caspar Bauhin, De Lapidis Bezaar Orient. Et Occident. Cervini Item Et Germanici Ortv, Natvra, Differentijs, Veróque vsv Ex Veterum & Recentiorum placitis Liber, Basel 1613.[9] Sameiro Barroso 2014, S. 87; Fricke 2018, S. 349f.[10] Cooley 2023, S. 54.[11] Fricke 2018, S. 353-356; Sameiro Barroso 2020.
[12] Sameiro Barroso 2014, S. 77.

Abbildungsnachweis

Abb. 1: collection.sciencemuseumgroup.org.uk (13.07.2024) Abb. 2: gallica.bnf.fr (13.07.2024) Abb. 3: samlingar.shm.se (13.07.2024) Abb. 4: Ausst. Kat. Prag und 1600. Kunst und Kultur am Hofe Rudolfs II., hg. von Christian Beaufort, Essen (Villa Hügel) / Wien (Kunsthistorisches Museum), 1988, S. 447, Abb. 71 Abb. 5: commons.wikimedia.org (13.07.2024) Abb. 6: beruehmte-koepfe.net (13.07.2024) Abb. 7: archive.org (13.07.2024) Abb. 8: dfg-viewer.de (13.08.2024) Abb. 9: metmuseum.org (13.07.2024)

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