In der Alchemie war die Kunst stets ein wichtiges Thema. In symbolischer Sprache drückten die Künstler Zusammenhänge aus, was schwierig oder verboten war in Worte zu fassen. Nachfolgend eine Interpretation zweier Gemälde.
Erschöpft ist der Alchemist in seiner Werkstatt, die von eifrigem Treiben zeugt, zusammengesunken und sanft entschlafen. In seiner rechten Hand hält er noch die Schreibfeder, mit der er bis vor Kurzem seine Beobachtungen in dem davor aufgeschlagenen Buch festgehalten hat. Das Feuer des alchemistischen Ofens ist verloschen, das Werkzeug liegt, als wäre es inmitten der Tätigkeit fallen gelassen worden, davor verstreut. Der Zeitpunkt des Todes kann noch nicht weit zurückliegen. Es ist ein merkwürdiges Spannungsverhältnis zwischen eifrigem Schaffen und der Stille des Todes, das dieses Bild dominiert. Die Suche nach dem so vielfach in diversen Handschriften gepriesenen Stein der Weisen ist, so scheint es, gescheitert. Die Reise des Adepten bleibt unvollendet. Es ist ein Bild von Verzweiflung und Kapitulation, das Elihu Vedder mit seinem Werk The Dead Alchemist (1868) hier zeichnet.[1]
Der amerikanische Künstler bedient sich hier einer bis zu jenem Zeitpunkt unbekannten Bildformel, auch wenn Alchemistenwerkstätten vor allem in der niederländischen Genremalerei des 16. und 17. Jahrhunderts ein sehr beliebtes Bildsujet waren. Auch dort geht das Opus magnum gelegentlich schief und fliegt dem Goldmacher in seiner Sudelküche nicht selten um die Ohren.[2] Jedoch ist das hier gezeigte Scheitern nicht mit dem der närrischen Alchemisten zu vergleichen. Die niederländischen Maler kennen den toten Adepten nicht. Wie kommt Vedder also auf dieses Bildthema?
Die Vedder-Biografin, Regina Soria, hat auf diese Frage eine simple Antwort. Der Künstler verarbeite in seinem Gemälde ein Kindheitstrauma; ein alter Herr, der in seinem Elternhaus zur Untermiete im Dachboden gewohnt hatte, war eines Tages tot aufgefunden worden.[3] Sicherlich ist dieses Werk im Kontext von Vedders genereller Faszination für melancholisch-düstere und melodramatische Bildsujets geprägt, sowie von seinem großen, seit Kindertagen andauernden Wissensdurst, der sich auch auf okkulte Wissensgebiete erstreckte:
[blockquote]He [Vedder] spent long hours in his grandfather’s garret, where he had discovered on old volume, ‚without cover or page title‘, which seemed to contain ‚all the wisdom of all the arts and sciences of ancient and modern times. It wandered from astronomy to the construction of a bird-organ; from painting, sculpture, and architecture to fortune-telling; from directions for making a clepsydra, or water-clock, to the proper wood for a divining rod‘ (…)[/blockquote][4]
Im Folgenden soll eine dieser okkulten Traditionen genauer beleuchtet werden: die Geschichte der Alchemie.
Was hat das Thema der Alchemie in einem Gemälde des 19. Jahrhunderts zu suchen – einer Zeit, in der praktische Alchemie längst in der modernen Chemie aufgegangen war und lediglich in ihrer spirituellen Form[5] in okkultistischen Kreisen praktiziert wurde? Nach Helmut Gebelein[6] und Richard Caron[7] befand sich die Alchemie zu jener Zeit im Niedergang. Allerdings, so lassen zumindest Gemälde wie die Vedders vermuten, war ihr Erbe immer noch greifbar und die «Königliche Kunst»[8] hatte nichts an ihrer Faszination verloren. Von Wissenschaftlern, ganz konkret von Chemikern wurde die Alchemie als Urmutter ihrer eigenen Disziplin gern verleugnet. Vehement versuchten sie sich von der mit Aberglaube, Scharlatanerie und schwarzer Magie assoziierten Alchemie abzugrenzen. Exemplarisch lassen wir hier den Chemiker Thomas Thomson zu Wort kommen:
[blockquote]Chemistry, unlike the other sciences, sprang originally from delusion and superstition, and was at its commencement exactly on a level with magic and astrology. Even after it began to be useful to man, by furnishing him with better and more powerful medicines than the ancient physicians were acquainted with, it was long before it could shake off the trammels of alchemy, which hung upon it like a nightmare, cramping and blunting all its energies, and exposing it to the scorn and contempt of the enlightened part of mankind.[/blockquote][9]
Aus diesen Zeilen sprechen Scham und Stolz zu gleichen Teilen. Die finstere Vergangenheit der Chemie lasse sich nun einmal nicht ungeschehen machen, jedoch, und das wird deutlich, habe man diese nun hinter sich gelassen und könne als aufgeklärtes Wesen auf sie zurückblicken und sich ihres Irrglaubens bewusst werden. Im naturwissenschaftlichen Diskurs um die Jahrhundertwende zwischen 18. und 19. Jahrhundert wurde die Alchemie also zu einem Negativbeispiel stilisiert, das es hinter sich zu lassen galt.
Eine Grafik, die eben diese Wende thematisiert, ist John Chapmans Farbstich aus dem Jahr 1805, der eine Allegorie der Chemie zeigt.[10] Auf den ersten Blick handelt es sich um eine wohl bekannte Bildformel: der werkelnde Alchemist, im Gegensatz zu Vedders Gemälde hier quicklebendig, sitzt inmitten von diversem alchemistischen Gerät und Büchern in einer spärlich beleuchteten Kammer. Allerdings ist es das Geschehen, das sich im Mittel- und Hintergrund abspielt, was mehr interessiert und dem Bild und seiner Deutung eine interessante Wendung verpasst. Wir sehen eine bekrönte Dame im weißen Gewand. Der Globus in ihrer Hand verrät ihre Identität, es ist eine Personifikation der Welt. Sie kehrt dem laborierenden Alchemisten den Rücken und wendet sich stattdessen einem jüngeren Mann zu, der im Halbschatten sitzt. Neugierig und interessiert blickt Frau Welt auf sein Tun. Er führt ein Experiment mit Sauerstoff durch. Markant ist außerdem die Lichtregie. Der Lichtstrahl fällt auf die beiden jungen, miteinander beinahe kokettierenden Personen, sowie auf ein aufgeschlagenes Buch. Dort ist eindeutig das Wort «Chemistry» zu lesen. Die Attribute des Alchemisten hingegen versinken in der Dunkelheit. Obwohl er im Vordergrund platziert wurde, ist es aufgrund der Lichtführung und der Blickrichtung der jungen Frau die Chemie, die das Bild dominiert. Die Botschaft ist eindeutig: Die Welt hat ihre Aufmerksamkeit von der Alchemie abgewandt und wendet sich nun der jungen, attraktiveren und interessanteren Chemie zu. Das Licht der Alchemie wird verlöschen.
Dieser Wandel muss auch als Subtext in Vedders Gemälde gelesen werden. Der Alchemist ist tot und die Alchemie mit ihm. Seine Zeit ist zu Ende, die Ära der Chemie ist angebrochen. Mit dem friedlichen, fast schon schönen Tod des Bildprotagonisten impliziert Vedder Bedauern für diese Veränderung. Die Alchemie, so suggeriert das noch nicht sehr hohe Alter des Alchemisten, hätte durchaus noch Potential gehabt und wurde zu früh aus dem Leben gerissen. Solche Überlegungen können nicht durch Aussagen von Vedder selbst gestützt werden, dazu fehlen die Quellen. Die minutiöse und historisch korrekte Darstellung der verschiedenen Laboruntensilien zeugt jedoch von einer dezidierten Auseinandersetzung mit der Geschichte der Alchemie von Seiten des Künstlers, sodass das alchemistische Erbe zumindest visuell weiterlebte.
Sicherlich hätte es Vedder und andere Künstler des 19. Jahrhunderts, die sich teils aus romantisch-historisierter Verklärtheit und teils aus tatsächlich wissenschaftsgeschichtlichem Interesse der alchemistischen Thematik widmeten, gefreut, dass der alchemistische Diskurs zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Blüte erfuhr. Mit der Entdeckung der Radioaktivität und deren wahrhaft «transmutierenden» Eigenschaften war die Alchemie plötzlich wieder in aller Munde, man sprach von «moderner Alchemie.»[11] Chemie und Alchemie wurden miteinander versöhnt. Somit ist der Tod des Alchemisten und der Alchemie vielmehr ein längerer Schlaf gewesen, um das alchemistische Erbe in «transmutierter» Erscheinungsform zu neuem Leben zu erwecken – die Disziplin hat das alchemistische Prinzip des «Stirb und Werde» quasi selbst erfahren.
Der Artikel ist zuerst auf dem Blog «the article» erschienen. Die Inhalte stammen von KunsthistorikerInnen und es ist ein Projekt von Studierenden und jungen Forschenden des Kunstgeschichtlichen Instituts der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Die Grundidee dabei ist, eigene Interessen, erarbeitete Inhalte und wissenschaftliche Forschung einem breiten Publikum digital zu präsentieren. Die Aurora Pharma bedankt sich an dieser Stelle für die zur Verfügung gestellten Inhalte.
Bildnachweis 1: Elihu Vedder, The Dead Alchemist, 1868, Öl auf Holz, 36,6 x 51 cm, Brooklyn, New York City, Brooklyn Museum Quelle
Bildnachweis 2: John Chapman, Chemistry, 1805, Farbstich nach Richard Corbould, 22,2 x 17,6 cm, London, Wellcome Library, Quelle Lizenz: CC BY 4.0
- [1] John Read nennt für dieses bisher in der Forschungsliteratur kaum besprochene Werk die alternativen Titel Weary of the Search, der das Moment der Kapitulation noch deutlicher unterstricht. Vgl. Read, John: The alchemist in life, literature and art, London 1947, S. 88.
- [2] Ein Beispiel ist Hendrik Heerschops Das Experiment des Alchemisten geht in Flammen auf, 1687, Öl auf Leinwand und auf Holz montiert, 57 x 47,5 cm, Philadelphia, Chemical Heritage Foundation.
- [3] Soria, Regia: Elihu Vedder. American Visionary Artist in Rome (1836-1923), Rutherford, NJ, Madison, Teaneck 1970, S. 295.
- [4] Ebd., S. 18.
- [5] Stellvertretend für die spirituelle Alchemie sei hier auf folgende Publikation verwiesen: Atwood, Mary Anne: A suggestive inquiry into the hermetic mystery and alchemy, London 1850.
- [6] Gebelein, Helmut: Alchemie, München 2000, S. 10.
- [7] Caron, Richard: Alchemy V. 19th-20th Century, in: Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, hg. von Wouter J. Hanegraaff, Leiden, Boston 2005, S. 50-58, S. 50.
- [8] Dieser Begriff ist folgendem Publikationstitel entlehnt: Völlnagel, Jörg: Alchemie. Die königliche Kunst, München 2012.
- [9] Thomson, Thomas: History of Chemistry, London 1830, S. 1.
- [10] Der Stich befindet sich in London in der Wellcome Library: Website Zugriff: 15.11.2017
- [11] Siehe hierzu: Morrisson, Mark: Modern Alchemy. Occultism and the Emergence of Atomic Theory, New York 2007.
Corinna Gannon, M.A., studierte Kunstgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und verfasste ihre Dissertation zu Kunst, Magie und Alchemie am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag. Aktuell ist sie wissenschaftliche Volontärin am Städel Museum in Frankfurt am Main.