Die Alchemie ist eine Wissenschaft, die von ihren Geheimnissen lebt und diese in Bild und Schrift kultiviert. Hermaphroditen, Phönixe, Löwen, Adler, Raben, Könige und Königinnen bevölkern die traumhaft anmutenden Weltlandschaften der alchemistischen Bilderwelt. Ein Überblick über die Bedeutung der Porträts grosser Alchemisten.
Bilder über die Alchemie und Alchemisten beinhalten kryptische, oftmals nicht mehr zu entziffernde Zeichen. Diese verschlüsseln uraltes, chemisches Wissen über das vermeintliche Geheimnis, «was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält.»[1] Substanzen und Laborprozesse werden anschaulich gemacht und zugleich verschleiert als märchenhafte, nicht selten erotische und grausame Erzählungen geschildert.[2] Die Vermittlung von alchemistischem Wissen verlief auf einem schmalen Grat zwischen strengster Geheimhaltung und Enthüllung des arkanen Wissens. Manche Autoren dieser Texte verstecken sich oft hinter abenteuerlich klingenden Pseudonymen, andere hingegen bekennen sich stolz mit ihrem Konterfei zu ihren Schriften und stellen es als Autorenporträt ihrem Buch voran.
Abb. 1: D.C.C. Fleischmann, Porträt des Paracelsus, o.J.
Eines der wohl bekanntesten Alchemisten-Porträts ist das des Paracelsus, des Urvaters der medizinischen Alchemie. Neben den gemalten Bildnissen von Quinten Massys oder Peter Paul Rubens[3], die keinerlei Hinweis auf die Tätigkeit des Schweizers geben, etablierte sich in der Druckgrafik vor allem das Bild des gealterten Wissenschaftlers mit Halbglatze, der mit beiden Händen den Griff eines großen Schwertes umfasst (Abb. 1)[4]. Das Schwert, in dessen Knauf häufig das Wort «AZOT» zu lesen ist, wurde zum Attribut des Paracelsus‘ und zeichnet ihn nicht als Ritter oder Krieger aus, der er sicherlich nicht war[5], sondern als Meister der Scheidekunst, der Spagyrik. Während dieser subtile Verweis auf seine Tätigkeit im Zeichen der arkansprachlichen Vorliebe für Symbole steht, wird die Laborpraxis in den Porträts einiger seiner Nachfolger deutlicher erkennbar in Szene gesetzt.
Abb. 2: Johann Caspar Höcker, Porträt des Michael Crügner, 1661
Solch ein Beispiel ist das Porträt des Dresdner Arztes und Alchemisten Michael Crügner (1610-1682) (Abb. 2).[6] Der Stich von Johann Caspar Höcker spielt mit zwei Bildebenen, die das Porträt als Bild-im-Bild in Szene setzen. Der Raum, in dem der Alchemist steht, ist zweigeteilt. Auf der linken Seite steht ein Bücherregal, gegenüber davon ein Regal mit verschiedenen Glasgefässen. Ein beiseite geschobener Vorhang – ein beliebtes visuelles Versatzstück, um den Moment des Ver- oder Enthüllens zu markieren – gibt den Blick auf diese Behältnisse frei. Diese Gegenüberstellung von Buchwissen und praktischer Tätigkeit deutet auf die Arbeitsweise des Dargestellten hin, die von Theorie und Praxis zu gleichen Teilen bestimmt war. Paracelsus selbst hatte das akademisch theoretische und praxisferne Studium seiner Zeitgenossen kritisiert und für das Lernen durch Erfahrung plädiert.[7] Visuell markiert Crügners Porträt somit diese Schnittstelle zwischen gelehrtem und praktischem Wissen.
Abb. 3: Detail
Als sein ihm unmittelbar zugeordnetes Attribut dient hier kein alchemistisches Gerät, sondern ein Himmelsglobus mit kunstvoll ausgestalteten Sternbildern. Das Objekt hat in diesem Porträt sowohl praktischen als auch symbolischen Wert, denn die Alchemie und die Astrologie galten als Schwesternkünste[8]. Alchemistische Vorgänge fanden oft nur in strengem Abgleich mit stellaren und planetaren Konstellationen statt, da man von begünstigenden oder hinderlichen Einflüssen bestimmter Sternenpositionen ausging. Alchemistisches Wissen über die Natur von Metallen und Tinkturen ging folglich zwangsläufig mit profunder Kenntnis der Planeten und Sterne einher und Crügner zeigt sich als Kenner beider Disziplinen. Gleichsam ist das angedeutete Astrolabium am oberen rechten Bildrand zu verstehen, mit dessen Hilfe u. a. Planeten- und Sternpositionen bestimmt werden konnten. Die terrestrische Entsprechung bilden die typischen alchemistischen Gerätschaften wie der Brennofen, der Destillierapparat, Zange und Blasebalg (Abb. 3). Das Destillat trägt die Aufschrift «M.P.», vermutlich ein Verweis auf die «Materia perlata», eine von Crügner hergestellte Universalmedizin.[9] Das Wort «Azot» das bereits aus dem Paracelsus-Porträt bekannt ist, steht über dem rechten Ofen geschrieben. Mit seiner für die Alchemie typischen mannigfaltigen Bedeutung steht es im Allgemeinen für ein stoffliches Urprinzip, aus dem der Stein der Weisen gewonnen werden sollte.[10]
Abb. 4: Detail
Ein unscheinbares, aber interessantes Detail ist das Wappen in der linken oberen Bildecke (Abb. 4). Auch hier haben sich alchemistische Symbole eingeschlichen. Zwischen dem Kleinod und auf dem Wappenschild ist deutlich das Symbol des Planeten Jupiter bzw. das des ihm zugeordneten Metalls Zinn zu erkennen. Es stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um ein fiktives Wappen handelt, das nicht als genealogisches Dokument dient, sondern als individueller Stellvertreter und Ausweis für die alchemistische Profession. Crügners Porträt wäre nicht das erste Bildnis eines Alchemisten, dem ein Wappen mit alchemistischen Symbolen beigegeben ist. Das wohl prominenteste Beispiel ist das Autorenporträt Michael Maiers aus seiner «Atalanta fugiens» (Abb. 5 und 6).[11]
Abb. 5 und 6: Matthäus Merian d. Ä: Porträt des Michael Maier, in: Atalanta fugiens, Oppenheim 1618
Besonders augenscheinlich wird diese Alchemisierung des Crügner‘schen Wappens durch einen Abgleich mit einer Variante des Porträts von 1676 (Abb. 7 und 8). Hier sind gleich alle sieben Planeten- bzw. Metallsymbole vertreten: Saturn, Jupiter und Mars zieren die Fläche zwischen dem Kleinod; Venus, Merkur, Mond und Sonne das Wappenschild. Nur letztere ist nicht als Symbol, sondern als anthropomorphisiertes Himmelsgestirn dargestellt. Der Wappenschild ist schräg geteilt und zeigt zwei Tiere: einen Löwen, der gerade im Begriff ist, die Sonne zu verschlingen und einen Kranich (erkennbar als Wappentier an der Kugel, die er in der rechten gehobenen Klaue trägt). Der die Sonne attackierende Löwe ist eines der bekanntesten, wenn auch hier wieder vielschichtigen alchemistischen Symbole. So kann er sowohl für das grünliche Eisenvitriol stehen, aber ebenso den Beginn des alchemistischen Opus markieren. Die wohl bekannteste Darstellung findet sich im «Rosarium Philosophorum.»[12]
Abb. 7 und 8: G. Jacob Schneider, Porträt des Michael Crügner, 1676
In der Gestaltung auf den ersten Blick schlichter, aber nicht weniger gehaltvoll ist das Kupferstich-Porträt des Johann Baptista von Helmont (1579-1644), das seinem Buch «Aufgang der Artzney-Kunst» (1683) vorangestellt ist (Abb. 9).[13] Der flämische paracelsische Arzt und (Al-)Chemiker präsentiert dem Betrachter eine langhalsige Phiole.[14] Auf mehreren Ebenen spielt das Porträt mit Nähe und Distanz, mit Offenbarung und Verhüllung. Trotz der Unmittelbarkeit, die der offene, an den Betrachter gerichtete Blick suggeriert, trennen die Lebenswelten des Porträtierten und des Betrachtenden ganze Welten. Zunächst wird das als Bild-im-Bild scheinbar auf einem Sockel platzierte Porträt durch diese Art der Inszenierung der Realität des Betrachters enthoben. Und doch schaffen die Lorbeerranken, die sich aus und um den Rahmen ziehen, eine Verbindung zwischen diesen beiden Dimensionen. Der Sessel, auf dem die die Phiole tragende Hand des Arztes ruht, dient wiederum als visuelle Barriere. Auf die Spitze getrieben wird dieses Haschespiel durch den leicht beiseite geschobenen Vorhang, der geradeso den Blick auf ein Laboratorium, eine dampfende Alchemistenküche, freigibt. Was dort vor sich geht, lässt sich nur erahnen.
Abb. 9: Johann Alexander Böner, Porträt des Jan Baptista van Helmont
Abb. 10: Johann Jacob Sandrart, Das Grab der Wahren Artzney-Kunst, in: Aufgang der Artzney-Kunst, Sulzbach 1683
Das Bildprogramm ist hier jedoch nicht zu Ende konzipiert und muss im Zusammenspiel mit dem darauffolgenden Titelkupfer gelesen werden, das Johann Jacob Sandrart gestochen hat (Abb. 10). Dargestellt ist ein Felsengrab, das «Grab der Wahren Artzney-Kunst», aus dem ein Schwarm Fledermäuse aus dem Bild zu fliegen scheint. Es herrscht hier jedoch keine Grabesstille, sondern reges Treiben. Das Felsendach ist von eifrig diskutierenden, grabenden und an einem Ofen laborierenden Personen bevölkert (Abb. 11). In der spärlich beleuchteten Höhle sind zahlreiche männliche Gestalten, offensichtlich Gelehrte, verzweifelt damit beschäftigt, nach etwas zu suchen. Einige lassen sich durch Inschriften identifizieren: Es handelt sich um die grossen Autoritäten der Medizin- und Alchemiegeschichte: Galen, Avicenna und Paracelsus. Nur die unmittelbar neben dem von Planeten- bzw. Metallsymbolen bekrönten Grab der «Artzney-Kunst» stehende Figur nimmt nicht an dem Durcheinander teil, sondern blickt besonnen in das durch die Öffnung an der Decke fallende Licht. Eine Laterne hat ihr den Weg durch die Höhle gewiesen. Die Gestalt ist niemand Geringerer als der Verfasser des Buches, van Helmont selbst, der seine berühmten geistigen Ahnen mit seinem Wissen übertrifft und wortwörtlich Licht ins Dunkel bringt (Abb. 12).[15] Die Metapher der Erleuchtung findet sich auch in der Sockelinschrift des Autorenporträts wieder:
«Diß ist der Helle Mond, Zur Lehre von Artzneyen;
Zu langer Lebens-Frist; von Kranckheit zu befreyen.
Er öfnet die Natur biß auf den tiefsten Grund,
Komm! Höre, was Er sagt der Wahrheit – Helle Mund.»
Das barocke Wortspiel «Heller Mond – Heller Mund» greift den Namen des Autors van Helmont doppeldeutig auf und bringt die Vorliebe der Alchemisten für Decknamen und allegorische Verschlüsselungen auf den Punkt.
Abb. 11 und 12: Detail
Die Bildsprache der Alchemie stellt (Kunst-)Historiker seit jeher vor Rätsel – Rätsel, die oft gar nicht entschlüsselt werden wollen. Aber genau darin liegt der Reiz bei der Beschäftigung mit der «Königlichen Kunst». In Büchern, die das vermeintliche Geheimwissen einer breiten Leserschaft zugänglich machen, also dort, wo alchemistisches Wissen greifbar zu werden scheint und Verfasser nicht nur ihren Namen, sondern auch ihr Konterfei offenbaren, werden Rätsel nicht aufgelöst, sondern durchaus weiter geschürt. Die dargestellten Personen nehmen bewusst den Habitus eines Gelehrten der Weltgeheimnisse an, der mehr zu wissen scheint, als er preiszugeben bereit ist. Die Bildnisse Crügners und van Helmonts sind dabei nur zwei Beispiele, die den Mythos um die alchemistische Persona zwischen Geheimhaltung und Enthüllung charakterisieren. So bleibt die Frage offen, ob der Vorhang in den Porträts vor fremden Blicken schützen soll oder gerade gelüftet wird.[16]
Quellenverzeichnis Abbildungen
Abb. 1: Herzog August Bibliothek
Abb. 2, 3, 4: Portraitindex
Abb. 5, 6: Portraitindex
Abb. 7, 8: Portraitindex
Abb. 9: Herzog August Bibliothek
Abb. 10, 11, 12: Münchner DigitalzierungsZentrum Digitale Bibliothek
- [1]Johann Wolfgang Goethe, Faust I, Kapitel 4.
- [2]Principe, Lawrence M.: Decknamen, in: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, hg. v. Claus Priesner und Karin Figala, München 1998, S. 104-106
- [3]Es existieren zahlreiche Kopien dieser Gemälde. Vgl. Kat. No. 63, in: AK: Kunst und Alchemie. Das Geheimnis der Verwandlung, hg. v. Sven Dupré, Düsseldorf (Kunstpalast) 2014, S. 150f.
- [4]Hartlaub, Gustav Friedrich: Die Bildnisse des Paracelusus, in: Kunst-Rundschau 49, 1941, S. 161-165; Ficker, Friedbert: Kritische Bemerkungen zur Frage der Paracelsus-Bildnisse, München 1971.
- [5]Goldammer, Kurt: Friedensidee und Toleranzgedanke bei Paracelsus und den Spiritualisten, in: Archiv für Reformationsgeschichte 46, 1955, S. 20-46, hier: S. 26.
- [6]Zu Crügner siehe: https://www.presseforschung.uni-bremen.de/dokuwiki/doku.php?id=kruegener_cruegner_michael (02.01.2020). Zu diesem Bildnis siehe außerdem: Gannon, Corinna: Von Chirurgen, Hebammen und Alchemisten. Eine Frankfurter Sammlung druckgrafischer Ärzteporträts, in: AK: Die Welt im BILDnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung, hg. v. Jochen Sander, Frankfurt am Main (Museum Giersch der Goethe-Universität) 2020, S. 83-89.
- [7]Pagel, Walter: Paracelsus. An introd. to philosophical medicine in the era of the Renaissance, Basel, München usw. 1982, S. 56-58.
- [8]Siehe hierzu: Burnett, Charles: Astroalchemie, in: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, hg. von Claus Priesner und Karin Figala, München 1998, S. 65-66; William R. Newman, Anthony Grafton (Hg.): Secrets of Nature. Astrology and Alchemy in Early Modern Europe 2001 und Forshaw, Peter: ‘Chemistry, That Starry Science’. Early Modern Conjunctions of Astrology and Alchemy, in: Sky and Symbol, hg. v. Nicholas Campion und Liz Greene, Lampeter 2013, S. 143-184. Neben seiner Tätigkeit als Mediziner und Alchemist machte sich Crügner auch als Kalendermacher einen Namen, wofür astronomisch-astrologische Kenntnisse ebenso erforderlich waren.
- [9]Crügner, Michael: Materia perlata. Das ist: Edle und bewehrte Artzeney Wider Malum Hypochondriacum, Miltz-Kranckheit oder windige Melancholey genannt (…), Regensburg 1676.
- [10]https://anthrowiki.at/Azoth#cite_ref-1 (02.01.2019).
- [11]Hofmeier, Thomas: Michael Maiers Chymisches Cabinet. Atalanta fugiens deutsch nach der Ausgabe von 1708, Berlin, Basel 2007, S. 13f.; Purš, Ivo; Hausenblasová, Jaroslava: Michael Maier and his Prague Activities, in: Alchemy and Rudolf II. Exploring the secrets of nature in central Europe in the 16th and 17th centuries, hg. v. Ivo Purš und Vladimír Karpenko, Prag 2016, S. 335-366, hier: S. 357-366.
- [12]https://www.alchemywebsite.com/virtual_museum/rosarium_philosophorum_room.html
- [13]https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10869856_00008.html (02.01.2020)
- [14]Zu diesem Porträt siehe: AK: Porträt 2. Der Arzt. Graphische Bildnisse des 16. – 20. Jahrhunderts aus dem Porträtarchiv Diepenbroick, hg. v. Peter Berghaus, Münster (Westfälisches Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte), Köln (Kölnisches Stadtmuseum), Offenburg (Ritterhausmuseum), 1978, Kat. Nr. 37, S. 116f.
- [15]Der Illustration ist eine Erklärung beigegeben. Erklärung des Kupffer-Tituls: Es hat die Artzney-Kunst sich aus der Welt verlohren / und unter dem Gestein in eine Grufft versteckt; / da dicke Finsterniß viel blinde jungen heckt; / Und wider alles Liecht die Nacht sich selbst verschworen. / Galen zwar wolt hinein; doch war er nicht erkohren / und fiel gleich fornen an zur Erden ausgestreckt. / So war auch Avicenn hierzu nicht aufgeweckt. / Bombast von Hohenheim der schien hierzu gebohren; / Drang mit der Fackel durch biß an den Grabes-Stein: / Doch must er da vor Dampf in kurtzer Zeit ersticken. / Von Helmont trat ihm nach und wollte klüger seyn; begunt auch überall viel Wunder zu erblicken. / Doch weil das Liecht zu kurtz / must er sich anders fassen / Und fieng von oben an das Liecht hinein zu lassen.
- [16]Die Porträts Crügners und van Helmonts sind vom 26.03. – 19.07.2020 in der Ausstellung „Die Welt im BILDnis. Porträts, Sammler und Sammlungen in Frankfurt von der Renaissance bis zur Aufklärung“ im Museum Giersch der Goethe-Universität in Frankfurt am Main zu sehen.
Corinna Gannon, M.A., studierte Kunstgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und verfasste ihre Dissertation zu Kunst, Magie und Alchemie am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag. Aktuell ist sie wissenschaftliche Volontärin am Städel Museum in Frankfurt am Main.