Die Bildwelt der Alchemie hat eine ganze Menagerie hervorgebracht, in der sich exotische Geschöpfe, Fabelwesen, aber auch Tiere der europäischen Fauna tummeln. Diese Wesen dienten als Projektionsfläche für komplexe Wandlungsprozesse sowohl auf stofflicher als auch auf psychologischer Ebene. Ein Ausflug in die Menagerie der Alchemie.
Rauch dringt aus einem solide gemauerten, zweistöckigen Brennofen. In seinem Inneren muss ein Feuer lodern, das den darauf befindlichen, turmartigen Aufbau erhitzt (Abb. 1). Der Betrachter erhält Einblick in das ansonsten verborgen bleibende Mysterium: die transparenten Wände des Türmchens geben den Blick frei auf einen ebenfalls durchsichtigen, dreifüßigen Kessel, in dem eine langhalsige, gläserne Phiole platziert wurde. Darin befindet sich nicht etwa eine brodelnde Flüssigkeit, sondern eine kleine, bekrönte und quicklebendige Schlange. In den drei Registern unterhalb des Brennofens tummeln sich weitere Tiere und Fabelwesen, deren Häupter teilweise ebenfalls von kleinen Kronen geziert werden: ein Löwe, ein Adler, eine zweite Schlange, ein Basilisk, ein Rabe, ein Pfau, ein Schwan und ein auf Flammen stehender Phönix mit drei Jungtieren. Bei dieser Menagerie handelt es sich nicht etwa um eine zoologische Zusammenstellung verschiedener Spezies, sondern um eine bildliche Wiedergabe alchemistischer Konzepte, Prozesse und Stoffe. Einige davon sollen im Folgenden vorgestellt werden.
Abb. 1: Alchemistische Menagerie unter einem Athanor, aus Basilius Valentinus‘ Duodecim Clavibus, 1618
Heute gibt es für alle chemischen Elemente und Verbindungen standardisierte und international einheitliche Bezeichnungen. Diese universelle Nomenklatur etablierte sich jedoch erst allmählich im 18. Jahrhundert. Einen Meilenstein in dieser Entwicklung stellte die 1787 veröffentlichte „Méthode de nomenclature chimique“[1] dar. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es zahlreiche, parallel existierende Bezeichnungssysteme gegeben, die eine verwirrende Vielfalt an Synonymen hervorgebracht hatten. Bereits im 16. Jahrhundert hatte die stetig anwachsende Zahl neu entdeckter Substanzen zu einem unüberschaubaren Durcheinander an Namen geführt. Als Arkanwissenschaft legte die Alchemie größten Wert auf Geheimhaltung und so wurden viele, den Uneingeweihten bewusst in die Irre führende Decknamen verwendet.[2] Bei der Namensgebung zeigten sich die Alchemisten äußerst kreativ. Reaktionen, die sich in ihren Phiolen vollzogen und stoffliche Veränderungen, die in den Brennöfen beobachtet wurden, umschrieben sie als märchenhafte Erzählungen. Stoffe wurden personifiziert und ihr „Aufeinandertreffen“ schilderte man als lebhafte Geschichten von Krieg und Frieden, Liebe und Hass, Werden und Vergehen. Solche Erzählungen verlangten förmlich danach, illustriert zu werden und aus diesem Grund sind alchemistische Texte oft reich bebildert. Neben Darstellungen der zu verwendenden Laborutensilien, religiös oder mythologisch anmutenden Szenen, kosmischen Diagrammen oder einer nicht selten kryptischen Zeichensprache, bevölkerten spätestens ab dem 15. Jahrhundert zahlreiche Tiere und Fabelwesen die Bildwelt der Alchemie.[3]
Abb. 2: Aurora Consurgens, 16. Jahrhundert, Leiden, UB, VCF 29, fol. 51
Die Goldmacher unter den Alchemisten sahen ihr Vorhaben, das glänzende Edelmetall künstlich herstellen zu können, in einer simplen Vorstellung von der Zusammensetzung der Metalle begründet. Alle Metalle – edle wie unedle – setzten sich nach ihrer Überzeugung aus zwei grundlegenden, stofflichen Prinzipien zusammen: Sulfur und Mercurius.[4] Diese sind sicher nicht mit elementarem Schwefel und Quecksilber gleichzusetzen, müssen wohl aber als allen Metallen gemeinsame Bausteine aufgefasst werden. So sollte jede Metallart über ein charakteristisches Mischungsverhältnis dieser beiden Komponenten verfügen. Daher schien es möglich, die Zusammensetzung eines unedlen Metalls derart zu modifizieren, dass es sich in Gold oder Silber verwandeln ließ. Sulfur und Mercurius stellte man sich als Gegensätze vor, die während des Transmutationsprozesses nicht selten in tierischer Gestalt miteinander in Dialog traten.
Sowohl Trennung als auch Begegnung zweier derart entgegengesetzter Wesen ging nicht immer reibungslos vonstatten und wurde daher gern als kämpferische Auseinandersetzung inszeniert. Ein Beispiel aus dem frühen 15. Jahrhundert findet sich in der illuminierten Handschrift „Aurora Consurgens“. Dort ist eine Tjost-Szene dargestellt, das beliebte ritterliche Zweikampfspiel, bei dem zwei Reiter mit einer Lanze aufeinander zureiten, um den Gegner vom Pferd zu stoßen (Abb. 2). Der Tjost wurde hier „alchemisiert“. Die beiden Reiter, ein sonnenköpfiger Ritter und eine mondköpfige Nackte, stellen die beiden alchemistischen Prinzipien, getarnt als Sol und Luna auf ihren Reittieren, einem Löwen und einem Greifen, dar. Das geflügelte Mischwesen ist zusammen mit seiner Reiterin als Ausdruck des flüchtigen Mercurius zu verstehen, den der feste Sulfur zu bändigen versucht.[5]
Abb. 3: Aurora Consurgens, 15. Jahrhundert, Zürich, Zentralbibliothek, Ms. Rh. 172, fol. 20v-42.
Gänzlich ohne menschliche Begleiter kommt eine Illustration in derselben Schrift aus (Abb. 3). Ein kleines weißes Wiesel hält einem Basilisken – ein Fabelwesen, das den Oberkörper eines Hahnes und den Schwanz einer Schlange hat – einen Spiegel entgegen. Den Augen des Basilisken sagte man versteinernde Wirkung nach. Wer immer ihn erblickt, würde zu Stein erstarren – so der im Mittelalter weitverbreitete Glaube. Das kleine, intelligente Tier, das als Feind aller Schlangen und somit Bezwinger des Basilisken galt, schlägt das Ungeheuer also mit seiner eigenen Waffe.[6] Auch in der Alchemie beobachtete man den Wechsel der Aggregatzustände. Das Erstarren zu Stein muss jedoch vor allem auf den „lapis philosophorum,“ den Stein der Weisen, bezogen werden, den man sich unter anderem als roten Feststoff vorstellte.
Abb. 4: Jörg Breu d. Ä., Splendor Solis oder Sonnenglanz, 1531-32, Berlin, Kupferstichkabinett, 78 D 3, fol. 22r
Stoffliche Wandlungsprozesse äußern sich oft in einem Farbwechsel. Noch heute werden in der Chemie bestimmte Indikatoren verwendet, bei denen ein Farbwechsel über eine erfolgreich durchgeführte Reaktion Auskunft erteilt. Vor allem für die Ermittlung des pH-Werts werden unterschiedliche Farbindikatoren verwendet. Die frühneuzeitliche Alchemie kannte hauptsächlich drei Grundfarben, die während des Herstellungsprozesses des Steins der Weisen in Erscheinung treten sollten: Schwarz (nigredo), Weiß (albedo) und Rot (rubedo). Diese charakteristische Farbabfolge, die unterschiedliche Stufen im Transmutationsprozess markierte und gleichsam eines Indikators für den korrekten Ablauf fungierte, wurde nicht selten durch Tiere, deren Fell oder Federkleid diese Farben besaßen, illustriert. Besonders häufig findet man den schwarz gefiederten Raben, den schneeweißen Schwan oder den feuerroten Phönix. In der berühmten alchemistischen Prachthandschrift „Splendor Solis“ (1531-1532) ist diese Farbabfolge in einem Bild zusammengefasst (Abb. 4): In einer hölzernen Nische steht eine gläserne Phiole. In ihrem Inneren vollzieht sich der Kampf zwischen drei Vögeln. Ein schwarzer, ein weißer und ein roter Vogel haben sich in einen brutalen Reigen begeben, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint.[7]
Abb. 5: Jörg Breu d. Ä., Splendor Solis oder Sonnenglanz, 1531-32, Berlin, Kupferstichkabinett, 78 D 3, fol. 28r
Ein weiteres beliebtes Geschöpf aus der alchemistischen Menagerie ist der Pfau. Im „Splendor Solis“ ist ein Rad schlagendes, majestätisches Tier in einer weiteren Phiole abgebildet (Abb. 5). Braun, grün und gelb schimmert sein Federkleid. Die schillernden Farben seines Schweifes (lat. „cauda pavonis“) sollten ebenfalls während des Transmutationsprozesses beobachtet werden können.[8] Auch sie dienten als farblicher Indikator für eine korrekt ablaufende Stoffumwandlung.
Neben Vögeln und anderen geflügelten Wesen, die in der Regel die flüchtige Natur des Mercurius versinnbildlichen, wird die Bildwelt der Alchemie vor allem von einem Säugetier beherrscht: dem Löwen. Er steht für unterschiedlichste Stoffe. Seine royale Rolle in der Tierwelt prädestinierte ihn selbstverständlich als Symbol für das edelste aller Metalle: Gold. Sein güldenes Fell konnte aber auch andere Farben annehmen. So finden sich häufig Beschreibungen und Darstellungen des roten und des grünen Löwen, die allerdings verschiedene Bedeutungen haben konnten. Während der rote Löwe (lat. leo ruber) für rotes Eisenoxid, roten Zinnober oder gar den Stein der Weisen stehen kann, symbolisiert der grüne Löwe (lat. leo viridis) die „prima materia“ und somit die Substanz, aus der der Stein der Weisen bereitet wird, oder aber auch das in der Alchemie vielfältig verwendete grüne Vitriol (Eisensulfat).[9] In Michael Maiers „Atalanta fugiens“ (1618) erscheint der grüne Löwe als Personifikation des „Philosophischen Erzes“ und damit als eine der geheimnisvollen und undurchsichtig bleibenden Komponenten des Steins der Weisen (Abb. 7). Das Motto des 37. Emblems von Maiers alchemistischem Gesamtkunstwerk lautet:
[blockquote]„Zum Geheimnuß der Natur sind dreyerley nöthig, ein weisser Rauch, das ist Wasser, der grüne Löw, das ist, das Philosophische Ertz, und das stinkende Wasser.“[10][/blockquote]
Diese rätselhaften Worte hat der Kupferstecher Matthäus Merian d. Ä. (1593-1650) meisterhaft ins Bildliche übersetzt: Ein prächtiger, männlicher Löwe steht in einer brodelnden Landschaft. Auf seine vermeintlich grüne Farbe deutet in der naturgemäß schwarz-weißen Druckgrafik nur der sein Haupt krönende Lorbeerkranz hin. Mit seinem strengen Blick fixiert er den Betrachter. Aus einem Vulkankegel im linken Bildhintergrund steigt der im Motto beschriebene weiße Rauch. Das faulig stinkende Wasser ist im rechten Hintergrund, unterhalb der von Ruinen gezeichneten Silhouette angedeutet und erinnert an in der Natur vorkommende, schwefelhaltige Quellen.
Abb. 6: Emblem 37, aus Michael Maier: Atalanta fugiens, Oppenheim 1618
Matthäus Merian d. Ä. lieferte im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts zweifelsohne den größten Beitrag zur Bildwelt der Alchemie.[11] Einen Höhepunkt seines Schaffens bilden seine Illustrationen für das sogenannte „Buch Lambspring“ (1625), ein Text, in dem es weniger um stoffliche, als vielmehr um spirituelle Wandlung geht. Die Alchemie hatte seit jeher auch eine proto-psychologische Dimension. Man ging davon aus, dass die Veredelung der Materie auch immer mit einer Veredelung der menschlichen Seele einhergeht. Derart abstrakte Denkfiguren verlangten, wie auch die praktische Alchemie, nach anschaulichen Bebilderungen. Merian lässt Seele und Geist in Tiergestalt miteinander in Dialog treten. Die Begegnung zwischen einem Hirsch und einem Einhorn an einem bewaldeten Flusslauf ist nichts anderes als die Zusammenführung von „anima“ und „spiritus“ in ihrem „corpus“, dem Wald (Abb. 8).[12] Anders als die eingangs beschriebene Kampfszene zwischen Löwe und Greif, findet dieses Aufeinandertreffen zwischen dem Zwölfender und dem Fabelwesen friedlich statt. Neugierig und würdevoll schreiten die beiden Bewohner des Waldes aufeinander zu und haben, wie zum Gruß, ein Bein gehoben. Ihr imposantes Geweih und Horn berühren sich dabei beinahe. Es scheint als beginne in diesem Moment ein stummer Dialog.
Abb. 7: Matthäus Merian d. Ä, Seele und Geist als Hirsch und Einhorn, in: Buch Lambspring aus: Musaeum Hermeticum, Frankfurt am Main 1678
Das in der Tierwelt beobachtete Gedeihen und Verderben, Fressen und Gefressenwerden, dominiert von animalischen Trieben nach Lebens- und Arterhalt, inspirierte zu bildgewaltigen und einprägsamen Motiven, die das umschrieben, wofür es keine Worte zu geben schien. Dabei entwickelte sich eine ganz eigene und meist vielmehr verschleiernde als erhellende Bildsprache, die absolut nichts gemeinsam hat mit der systematischen Nomenklatur der modernen Chemie. Nichtsdestotrotz mag man in der eingangs gezeigten Abbildung (Abb. 1) bereits erste Züge eines Ordnungsversuchs erkennen, in dem Stoffe, getarnt als Tierwesen, durch die kleinen Kronen vermeintlich hierarchisch angeordnet, in ein frühes „Periodensystem“ integriert werden.
Abbildungsnachweis
Abb. 1: Quelle
Abb. 2: Quelle
Abb. 3: Quelle
Abb. 4: Quelle
Abb. 5: Quelle
Abb. 6: Quelle
Abb. 7: Quelle
Quellenverzeichnis
[1] Guyton de Morveau, Louis Bernard, et. al.: Méthode de nomenclature chimique, Paris 1787. Siehe hierzu: Karpenko, Vladimír: Martin Rulands Lexicon alchemiae im Kontext der chemischen Sprache und Systematik, in: Studia Rudolphina 11 (2011), S. 102-126.
[2] Principe, Lawrence M.: Decknamen, in: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, hg. von Claus Priesner und Karin Figala, München 1998, S. 104-106.
[3] Obrist, Barbara: Les débuts de l’imagerie alchimique. XIVe – XVe siècles, Paris 1982; Forshaw, Peter: Alchemical Images, in: Encyclopedia of Early Modern Philosophy and the Sciences, hg. von Dana Jalobeanu und Charles T. Wolfe, Berlin 2020, S. 1-10.
[4] Newman, William R.: Mercury and Sulphur among the High Medieval Alchemists. From Rāzī and Avicenna to Albertus Magnus and Pseudo-Roger Bacon, in: Ambix 61 (2014), S. 327-344.
[5] Zur Bildwelt der Auror Consurgens: Völlnagel, Jörg: Alchemie. Die königliche Kunst, München 2012, S. 24-41.
[6] Wiesel/Hermelin, Hermelinpelz, in: Kretschmer, Hildegard: Lexikon der Symbole und Attribute in der Kunst, Stuttgart 2008, S. 451f.
[7] Völlnagel, Jörg: Splendor solis oder Sonnenglanz. Studien zu einer alchemistischen Bilderhandschrift. München 2004, S. 74.
[8] Ibid., S. 76.
[9] Ruland d. J., Martin: Lexicon alchemiae sive Dictionarium alchemisticum, cum obscuriorum verborum et rerum Hermeticarum, tum Theophrast-Paracelsicarum phrasium, Frankfurt am Main 1612, S. 303; Karpenko, Vladimír; Norris, John A.: Vitriol in the History of Chemistry, in: Chemické listy 96 (2002), S. 997-1005.
[10] Zit. nach: Hofmeier, Thomas: Michael Maiers Chymisches Cabinet. Atalanta fugiens deutsch nach der Ausgabe von 1708, Berlin und Basel 2007, S. 223.
[11] Siehe hierzu: Wüthrich, Heinrich: Das druckgraphische Werk von Matthaeus Merian d. Ae. 2. Die weniger bekannten Bücher und Buchillustrationen, Basel 1972.
[12] Putscher, Marielene: Pneuma, Spiritus, Geist. Vorstellungen vom Lebensantrieb in ihren geschichtl. Wandlungen, Wiesbaden 1973, S. 71-76.
Corinna Gannon, M.A., studierte Kunstgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und verfasste ihre Dissertation zu Kunst, Magie und Alchemie am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag. Aktuell ist sie wissenschaftliche Volontärin am Städel Museum in Frankfurt am Main.