Eine geheimnisvolle Zeichnung aus Lucas Cranachs d. Ä. Werkstatt im Frankfurter Städel Museum offenbart tiefe Einblicke in die Symbolik der Alchemie. Verschiedene Motive wie das “Weiberwerk” und der “rote Löwe” vermischen Kunst und Alchemie, wobei die Farbauswahl auf alchemistische Prozesse hinweist. Das Werk zeigt eine meisterhafte Verbindung von künstlerischer und alchemistischer Transformation.
Abb. 1: Lucas Cranach d. Ä. (Werkstatt), Allegorie der Alchemie, ca. 1525-1550, aquarellierte Federzeichnung, 109 x 213 mm, Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv. Nr. 15221
Aus der Werkstatt des Malers Lucas Cranachs d. Ä. (1472–1553) stammt eine rätselhafte Zeichnung (Abb. 1).[1] Sie wird heute in der Graphischen Sammlung des Frankfurter Städel Museums aufbewahrt und gilt als „Allegorie der Alchemie“. Aber was genau macht das kleine Blatt zu einer Allegorie auf die „Große Kunst“ der Transmutation? Dargestellt sind drei verschiedene und voneinander unabhängige Motive. Auf den ersten Blick erschließt sich ihre Bedeutung nicht. Es bedarf des Blickes eines „Eingeweihten“, eines der Alchemie Kundigen, um sie zu entschlüsseln.
Weiberwerk und Kinderspiel
Beginnen wir auf der linken Seite. Dargestellt ist eine Frau, die an einem Flussufer ein weißes Laken wäscht. Neben ihr stehen ein hölzerner Bottich und ein Tisch, auf dem ein Brett zum Glätten der Wäsche liegt. Ganz am linken Bildrand kauert ein kleines Kind und spielt am Wasser. Im Hintergrund zeichnet sich die Silhouette eines Berges ab, an dessen Fuß eine Stadt erbaut wurde. Etwas höher gelegen befindet sich eine Festung (Abb. 2).
Abb. 2: Detail aus Abb. 1
In der (Bild-)Sprache der Alchemie verbergen sich hier das sogenannte „Weiberwerk“ (Opus mulierum) und das „Kinderspiel“ (Ludus puerorum).[2] Im Vorgang des Wäschewaschens, vor allem aber wegen der Reinheit der weißen Wäsche, sollte ersteres auf die alchemistische Phase der Weißung, der Albedo, anspielen. Hierbei erlangt der zu transmutierende Stoff durch Destillation und Sublimation eine weiße Farbe. Das Kinderspiel kann auf den Vorgang der Gerinnung, der Coagulatio, verweisen. Zudem soll es, wie auch das Weiberwerk, veranschaulichen, dass das Opus magnum „kinderleicht“ vonstattengehen kann, wenn die ersten schwierigen Schritte überwunden sind.[3] Die bekannteste Darstellung spielender Kinder und waschender Frauen im Kontext der Alchemie findet sich wohl in der am aufwendigsten bebilderten alchemistischen Prachthandschrift, dem Splendor solis (Abb. 3 und 4).
Abb. 3 und 4: Kinderspiel und Weiberwerk, in: Splendor solis oder Sonnenglanz, 1582, Deckfarben auf Pergament, 320 x 220 mm, London, British Library, Inv. Nr. Harley MS 3469, fol. 31v und 32
Alchemie und Musik
Ganz rechts wurde eine Wappenfigur verlebendigt und in die Landschaft integriert. Ein Lautenspieler steht auf einem Wappenschild, auf dem sein Instrument zwei weitere Male dargestellt ist: einmal in Schwarz und einmal in Weiß (Abb. 5). Zum einen mag es sich hierbei um das Wappen des Widmungsempfängers oder Auftraggebers des Blattes handeln.[4] Zum anderen könnte es auch als „sprechendes“ Wappen konzipiert sein, das auf die alchemistische Praxis Bezug nimmt.
Abb. 5: Detail aus Abb. 1
Unter Alchemisten war es nicht unüblich, das eigene Wappen mit alchemistischen Symbolen auszustatten.[5] Die Laute würde in diesem Kontext durchaus Sinn ergeben, denn die Alchemiepraxis wurde oft mit der Musik verglichen.[6] Im Laboratorium wurde gewissermaßen mit verschiedenen Substanzen „komponiert“, indem sie in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht wurden. Die kosmische Harmonie, die man sich auch als einen harmonischen Klang der Sphären vorstellte, sollte im Kleinen dupliziert werden. Anschaulich wird dieser Gedanke in dem die „Große Kunst“ zusammenfassenden Titelkupfer von Oswald Crolls Basilica Chymica (1609).[7] Das kosmologische Diagramm im unteren Bilddrittel wird links von einem rauchenden Athanor und rechts von diversem Laborgerät flankiert (Abb. 6). Darüber sind in einer Nische auf der einen Seite ein betender Alchemist und auf der anderen eine an der Wand befestigte Laute auszumachen. Da das Musikinstrument in der Laborpraxis keinen praktischen Nutzen hatte, muss seine Bedeutung auf symbolischer Ebene gesucht werden. Es ist wohl kein Zufall, dass die Bücher und Phiolen im Regal oberhalb wie Orgelpfeifen angeordnet sind.
Sol und Leo
Die mittlere Figur repräsentiert den Höhepunkt des alchemistischen Opus. Umrahmt von einem halbkreisförmigen Wolkenband thront die Personifikation der Sonne, die Planetengottheit Sol, über der Szene. Der sonnengesichtige Reiter sitzt auf einem roten Löwen und hält ein Schwert in der linken Hand. Mit einer herrischen Geste gebietet er seinem Reittier, einen kräftigen Luftstoß auszusenden, der sich auf eine schwarz gefärbte Grube ergießt. Darin liegen vier geflügelte Puttenköpfe um eine rote Substanz versammelt. Sie erinnern an Darstellungen der Winde und sind dementsprechend in alle vier Himmelsrichtungen ausgerichtet (Abb. 7).
Abb. 7: Detail aus Abb. 1
Die Sonnenfigur entspricht zeitgenössischen Darstellungen der Gottheit als Teil von Serien der Planetengötter, wie sie etwa Hans Burgkmair d. Ä. entworfen hatte (Abb. 8). Zu Füßen des von Strahlen umgebenen Sols ist in der Regel das ihm zugeordnete Tierkreiszeichen, der Löwe, zu finden. Gemäß der gedachten Entsprechung zwischen Himmelskörpern und Metallen repräsentiert die Figur zugleich das Gold und damit das Ziel der Stoffumwandlung. Damit erklärt sich die rote Farbe des Löwenfells, denn der „rote Löwe“ war auch ein Synonym für den die Transmutation bewirkenden Stein der Weisen. Der Frankfurter Zeichnung Pate gestanden haben dürfte Albrecht Dürers Kupferstich Sol iustitiae, in welchem die Vorstellung des Sonnengottes mit dem des richtenden, christlichen Gottes verschmilzt (Abb. 9).[8] Das Schwert ist in der Zeichnung jedoch weniger als Instrument der Rechtsprechung, als vielmehr als Werkzeug der nicht immer gewaltfrei vonstattengehenden Trennung im alchemistischen Prozess zu verstehen, die ganz im Gegensatz zur Vorstellung von „Weiberwerk“ und „Kinderspiel“ steht.
Abb. 8: Nach Hans Burgkmair d. Ä., Sol, 1510–1560, Holzschnitt, 305 x 183 mm, London, British Museum, Inv. Nr. E,7.6-11
Abb. 9: Albrecht Dürer, Sol iustitiae, um 1499, Kupferstich, 106 x 76 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Inv. Nr. A 806
Kunst als Alchemie
Die Zeichnung aus der Cranach-Werkstatt offenbart also weniger ein geschlossenes System. Vielmehr spielt sie mit verschiedenen (Sprach-)Bildern und Themen der Alchemie, die wie in einer Collage zusammengesetzt werden. Der ausführende Künstler gibt sich damit als „Eingeweihter“ zu erkennen, der um die Geheimnisse der Stoffumwandlung wusste und mit diesen, einem „Kinderspiel“ gleich, umgehen konnte.
Abb. 10: Detail aus Abb. 1
Überdies nimmt die Zeichnung nicht nur motivisch, sondern auch materialikonologisch Bezug auf die Alchemie. Das bedeutet, dass in den verwendeten Farben und Materialien eine zusätzliche Bedeutung gesucht werden muss. Die dominierenden Farben sind Schwarz, Weiß, und Rot, die auf die Farbabfolge in den Prozessstufen des alchemistischen Opus – Nigredo, Albedo und Rubedo – anspielen dürften. Zusätzlich hat der Künstler mit goldener Farbe gearbeitet: die Strahlen, die die Figur des Sol umgeben, sind in Gold nachgezogen. Es scheint also, als dürfe die Zeichnung selbst als eine Art „alchemistisches“ Endprodukt gelten. Letztendlich ist doch auch ein Kunstwerk das Ergebnis einer Transformation von Materie. Der Urheber dieser Zeichnung demonstrierte hiermit jedenfalls, dass er über beides verfügte: über das geheime Wissen der Alchemie und ihrer Symbole und über die Fertigkeit, mit dem Pinsel „Gold“ zu produzieren.
Anmerkungen
- AK Frankfurt 2003/4, Kat. Nr. 76, S. 207-209.
- Völlnagel 2004, S. 79f.
- Miller (Hg.) 1991, S. 149-156; Völlnagel 2004, S. 79.
- AK Düsseldorf, Kat. Nr. 65, S. 153.
- Siehe die Wappen der Alchemisten Michael Maier und Michael Crügner: https://www.aurorapharma.com/alchemist-portraet/
- Meinel 1986; Forshaw 2010; Limbeck 2019.
- https://www.aurorapharma.com/kuriose-artefakte-oswald-crolls-pestamulette/
- Panofsky 1975, S. 287-290; AK Frankfurt 2003/4, Kat. Nr. 76, S. 207f.
Zitierte Literatur
- AK Düsseldorf 2014
- AK Kunst und Alchemie. Das Geheimnis der Verwandlung, hg. von Sven Dupré, Düsseldorf (Kunstpalast) 2004
- AK Frankfurt 2003/4
- AK Wendepunkte deutscher Zeichenkunst. Spätgotik und Renaissance im Städel, bearb. von Stephanie Buck, Frankfurt am Main (Städel Museum) 2003/04
- Forshaw 2010
- Peter Forshaw: Oratorium – Audatorium – Laboratorium. Early Modern Improvisations on Cabala, Music and Alchemy, in: Aries 10,2 (2010), S. 169-195
- Limbeck 2019
- Sven Limbeck: Sounding Alchemy. Alchemie und Musik in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Petra Feuerstein-Herz (Hg.): Feurige Philosophie. Zur Rezeption der Alchemie, Wiesbaden 2019, S. 43-83
- Meinel 1986
- Christoph Meinel: Alchemie und Musik, in: Ibid. (Hg.): Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Wiesbaden 1986, S. 201-227
- Miller (Hg.) 1991
- Nobert Miller (Hg.): Gustav Friedrich Hartlaub. Kunst und Magie. Gesammelte Aufsätze, Hamburg und Zürich 1991
- Erwin Panofsky: Dürers Stellung zur Antike, in: Ibid.: Sinn und Deutung in der Bildenden Kunst, Köln 1975, S. 274-350
- Völlnagel 2004
- Jörg Völlnagel: Splendor solis oder Sonnenglanz. Studien zu einer alchemistischen Bilderhandschrift, München / Berlin 2004
Bildnachweis
- Abb. 1, 2, 5, 7, 10: https://sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/allegorie-der-alchemie (15.07.2023)
- Abb. 3 und 4: https://www.bl.uk/ (15.07.2023)
- Abb. 6: https://de.wikipedia.org/wiki/Oswald_Croll (15.07.2023)
- Abb. 8: https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_E-7-6-11 (15.07.2023)
- Abb. 9: https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/964815 (15.07.2023)
Corinna Gannon, M.A., studierte Kunstgeschichte an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und verfasste ihre Dissertation zu Kunst, Magie und Alchemie am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag. Aktuell ist sie wissenschaftliche Volontärin am Städel Museum in Frankfurt am Main.