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Schwarze Wölfe und goldene Könige – von der Goldreinigung

Leblos liegt ein König auf dem steinigen Boden. Da nähert sich langsam ein schwarzer, hungriger Wolf. Er schnüffelt an dem toten Körper. Plötzlich beißt er zu. Eine einfache Beute, die seinen Hunger für einen Moment stillt. Doch was geschieht nun? Der Wolf geht in Flammen auf! Weißer Rauch steigt auf. Da erhebt sich der König aus dem Feuer und schreitet wie neugeboren aus den Flammen.

Was nach einem Schauermärchen klingt, ist die poetische Umschreibung eines alchemistischen Prozesses. Es handelt sich um die Goldreinigung durch das Antimon. Mit seiner Radierung für Michael Maiers „Atalanta fugiens“ (1618) hat Matthäus Merian d. Ä. für diesen Prozess ein sprechendes Bild gefunden (Abb. 1). Seine Bedeutung erschließt sich aber nur dem eingeweihten Betrachter.[1]

Das Antimon ist ein Halbmetall, das als Sulfid (Sb2S3) verwendet wird und als solches auch als Spießglas, Spießglanz oder Stibnit bezeichnet wird. Man erkennt es an seinem silbernen Glanz und seiner kristallinen Oberflächenstruktur (Abb. 2).

Abb. 2: Antimon

Bekannt ist es seit der Antike und wurde in erster Linie medizinisch verwendet. Auch Paracelsus wusste, dass «Der Antimonium hat in ihm ein grosse wunderbarliche heylung in den wunden (…).»[2] In der Scheidekunst hat es sich seit dem 16. Jahrhundert bewährt. Erstmals wurde seine Verwendung zur Goldreinigung im sogenannten «Probierbüchlin» (1518) erwähnt, einem Handbuch zur Bestimmung der Zusammensetzung von Mineralien und Metallen.[3] Das Antimon hat die Eigenschaft, die das Gold verunreinigenden Metalle in sich aufzunehmen. Man stellte es sich daher als hungrigen Wolf vor, der diese Metalle «fressen» wollte (Abb. 3).

Abb. 3: Das Antimon als Wolf, aus: Johann Joachim Becher: Parnassus medicinalis illustratus. Oder: Ein neues, und dergestalt, vormahln noch nie gesehenes Thier- Kräuter- und Berg-Buch, sampt der Salernischen Schul, Ulm 1663, S. 47

Der Alchemist Johann Joachim Becher beschrieb das mit folgenden Versen:

«Das Antimonium, so man auch Spießglaß nennt,
Wird für einen grawn Wolff / und fräßiges Thier erkennt.
Kein einiges Metall vor ihm bestehen kann /
Er greifft im Fewer sie / starck und gewaltig an /
Allein das feine Gold verachtet seine Krafft /
Auß seiner Feindschafft es ihm einen Nutzen schafft.
Es wird dadurch erhöht, und kann nicht haben platz
Beym Gold / in dieser Prob ein einiger Zusatz.»[4]

Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde die Goldreinigung mittels Antimon zu einem Standardverfahren und beispielsweise von dem italienischen Ingenieur Vannoccio Biringuccio (1480-1539), vom «Vater der Mineralogie» Georg Agricola (1494-1555) und von dem sächsischen und böhmischen Münzmeister Lazarus Ercker (ca. 1530-1594) angewendet und erläutert.

Abb. 4: Probierwerkstatt aus: Georg Agricola, De re metallica libri XII, Basel 1556, S. 364

Im Prinzip ist das Vorgehen wie folgt: Eine bestimmte Menge einer Gold-Silber-Legierung wird in einem Tiegel geschmolzen. Anschließend wird die dreifache Menge Antimon hinzugegeben.[5] Damit der „gefräßige Wolf“ nicht auch das Gold „verzehrt,“ ergänzt man noch etwas Kupfer. Die Metalle bleiben so lange im Feuer, „als man zu einem Weg von 35 Schritt braucht.“[6] Sind alle Metalle im Fluss, werden sie in einen konischen, gusseisernen Tiegel, den sogenannten Gießpuckel, gegossen.

Abb. 5: Laborgerät aus: Lazarus Ercker, Beschreibung der allervornehmsten mineralischen Erze und Bergwerksarten, Frankfurt am Main 1580 [Berlin 1960], S. 190

Zu erkennen ist dieser an seiner charakteristischen Form, wie er in Agricolas „De re metallica libri XII“ (Abb. 4, Figur D) und Erckers „Beschreibung der allervornehmsten mineralischen Erze und Bergwerksarten“ (Abb. 5, Figur B) abgebildet ist. Der erkaltete, konische Regulus (das Gold-Kupfer-Antimon-Gemisch) zerfällt erkennbar in zwei Phasen (bei Ercker Figur G): In der Spitze befindet sich das gereinigte Gold (Abb. 6–8). Den Rest bildet eine schwarze Antimon-Schlacke mit den oxidierten, unedlen Metallen. Um den Reinheitsgrad der goldenen Spitze weiter zu erhöhen, wird dieser Prozess noch mindestens dreimal wiederholt.


Abb. 6: Antimon und Gold im Tiegel vor dem Guss in den Gießpuckel.
Abb. 7: Zweiteiliger Regulus (oben Schlacke, unten Gold) und geöffneter Gießpuckel
Abb. 8: Gereinigter Goldregulus (moderne Reproduktion des Verfahrens)

Dem auf diese Weise gereinigten Gold haftet noch ein verbleibender Antimon-Rest an. Wie dieser entfernt werden soll, zeigt Merians Stich für die „Atalanta fugiens“: Der Wolf geht in Flammen auf, während der König unbeschadet aus dem Feuer schreitet. Übersetzt bedeutet das, dass das Gold ein weiteres Mal zum Schmelzen gebracht wird, wobei das verbleibende Antimon als weißer Dampf verraucht (Abb. 9-12). Zurück bleibt reines Gold. Zu Recht gibt der Metallurg Christoph Andreas Schlüter zu bedenken: „Wann aber viel [Antimon] vorhanden, so ist das eine beschwerliche ungesunde Sache.“ Zugleich räumt er aber ein: „Doch da man das Gold und Silber nicht gerne entbehren will, so ist es auch nicht zu ändern, und muss man sich in die Arbeit schicken.“[7]

Abb. 9: Verblasen des Antimon
Abb. 10: Detail aus Abb. 1
Abb. 11: übriggebliebener Regulus aus reinstem Gold
Abb. 12: Detail aus Abb. 1

Eine ähnliche Umschreibung dieses Prozesses findet sich in Basilius Valentinus‘ „Practica cum Duodecim Clavibus.“ Der erste „Schlüssel“ dieser Schrift ist ebenfalls der Goldreinigung mittels Antimons gewidmet (Abb. 13 und 14), die auch dieser Autor in eine nicht weniger verrätselte Erzählung hüllt:

«Die Krone des Königs sol von reinem Golde sein / und eine keusche Braut soll ihm vermählet werden. Darumb so du durch unser Cörper wircken wilt / so nim den geitzigen grawen Wolff / so seines nahmens halben dem streittigen Marti unterworffen / von geburt aber ein Kind des alten Saturni ist / so in den Thälern und Bergen der Welt gefunden wird / und mit grossem Hunger besessen und / wirff ihm für den Leib des Königes / daß er daran seine zehrung haben mög / Und wenn er den König verschlungen / so mache ein groß fewer / und wirff den Wolff darein / das er ganz und gar verbrenne / so wird der König wider erlöset werden / Wenn das dreymal geschicht / so hat der Löwe den Wolff uberwunden / und wird nichts mehr an ihm zuverzehren finden / so ist dann unser Leibe vollkommen zum Anfang unsers wercks.»[8]

Ein König soll vermählt werden. Angespielt wird hier auf den Topos der sogenannten „chymischen Hochzeit“, die Vereinigung von Gegensätzen, die zugleich das Ziel des alchemistischen Opus ist.[9] Die erste Bedingung dafür lautet, dass der König „von reinem Golde“ sein müsse. Dies geschieht bekanntermaßen durch den „geitzigen grauen Wolff“.

Abb. 13 und 14: Erster Schlüssel der 12 Schlüssel des Basilis Valentinus, aus: Musaeum Hermeticum, Frankfurt am Main 1678, S. 393.

Die dem Text vorangestellte Illustration zeigt mehrere Zeitebenen und Prozessschritte. In der Bildmitte ist ein Königspaar dargestellt. Braut und Bräutigam treten einander in einer bewaldeten Landschaft entgegen, an deren linkem Horizont sich eine Festung abzeichnet. Hinter den Mauern, Türmen und Zinnen darf man durchaus eine Anspielung auf oft turmartige, alchemistische Schmelzöfen vermuten.[10] Zu Füssen des Königs wird auf seinen Läuterungsprozess angespielt, der vor der Vermählung stattgefunden haben muss: Ein grimmiger Wolf springt eilig über den in einer Feuerstelle stehenden Tiegel hinweg. Am rechten Bildrand ist ein weiterer Arbeitsschritt angedeutet, der im Text nicht beschrieben wird.

Abb. 15: Detail aus Abb. 10
Abb. 16: Antimon-Schlacke und Blei in einer Kupelle
Abb. 17: verbleibendes Edelmetall nach der Kupellation

Der holzbeinige Planetengott Saturn, der mit dem Metall Blei gleichzusetzen ist, wird hier selbst zum Alchemisten. Er schwingt seine Sense über einer Feuerstelle, in der ein Schälchen mit einer kleinen Kugel steht. Was hier bildlich umschrieben wird, ist die Reinigung der übrig gebliebenen Antimon-Schlacke. Die vom „Wolf verzehrten“ Metalle, das vom Gold geschiedene Silber, sind kein Abfallprodukt. Man versucht das Silber daher mit Hilfe von Blei zurückzugewinnen, wie Agricola verrät: „Zum Schluss schmilzt man das Stibium unter Zusatz von wenig Blei auf einer Kupelle, wobei das Silber allein zurückbleibt, nachdem alles Übrige durch die Hitze verzehrt wurde.“[11] Genau dieser als „Kupellation“ bezeichnete Prozess ist hier veranschaulicht.

Eine moderne Reproduktion dieser historischen Goldscheideverfahren hat gezeigt, dass die alten Alchemisten nicht zu viel versprochen haben. Der „schwarze, hungrige Wolf“ verschlingt tatsächlich alle unedlen Metalle und lässt den goldenen „König“ mit einem Reinheitsgehalt von mindestens 99 % aus den Flammen hervorgehen.[12] Die mehrfache Wiederholung des Prozesses, hohe Temperaturen im Schmelzofen (>1000°C) und Geduld sind für das Gelingen entscheidend. Nicht zuletzt bedarf es Erfahrung, Mut und ein gutes Bauchgefühl, denn die Alchemisten setzten eine „eingeweihte“ Leserschaft voraus bzw. hüteten ihre Berufsgeheimnisse durch ein bewusstes Verschweigen von essentiellen Informationen wie Mengenverhältnisse und Zeitangaben.

 

Abbildungsnachweis

Abb. 1: https://furnaceandfugue.org/atalanta-fugiens/emblem24.html

Abb. 2: https://www.seilnacht.com/Lexikon/51Antim.htm

Abb. 3: https://books.google.de/books?id=0CtywAEACAAJ&hl=de&pg=RA4-PA47#v=onepage&q&f=false

Abb. 4: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11193455?page=380

Abb. 5: https://sachsen.digital/werkansicht?tx_dlf[id]=30823&tx_dlf[page]=194

Abb. 6: © Christoph Jäggy

Abb. 7: © Christoph Jäggy

Abb. 8: © Christoph Jäggy

Abb. 9: © Christoph Jäggy

Abb. 10: wie Abb. 1
Abb. 11: © Christoph Jäggy

Abb. 12: wie Abb. 1

Abb. 13: https://archive.org/details/musaeumhermeticu00meri/page/392/mode/2up

Abb. 14: wie Abb. 10

Abb. 15: wie Abb. 10

Abb. 16: © Christoph Jäggy

Abb. 17: © Christoph Jäggy

 

Quellenverzeichnis

[1] Jong, H. M. E. de: Michael Maier’s Atalanta fugiens. Sources from an alchemical book of emblems, York Beach 2002, S. 186-190; Hofmeier, Thomas: Michael Maiers Chymisches Cabinet. Atalanta fugiens deutsch nach der Ausgabe von 1708, Berlin, Basel 2007, S. 171-174; https://furnaceandfugue.org/atalanta-fugiens/emblem24.html.

[2] Paracelsus: Die grosse Wundartzney. Erster Theil 1562, S. 67f.

[3] Probir büchlin vff Golt/ Silber/ Kupfer/ Blei/ vn[d] allerley ertz gemeynem nutz zu gut geordenet. Müntzmey-stern/ Gwardeine[n]/ Goltschmiden, Worms 1518, fol. 38v-40r.
Vgl. Johannsen, Otto (Hg.): Biringuccios Pirotechnia. Ein Lehrbuch der chemisch-metallurgischen Technologie und des Artilleriewesens aus dem 16. Jahrhundert, Braunschweig 1925, S. 239; Soukup, Rudolf Werner; Mayer, Helmut: Alchemistisches Gold, paracelsistische Pharmaka. Laboratoriumstechnik im 16. Jahrhundert. Chemiegeschichtliche und archäometrische Untersuchungen am Inventar des Laboratoriums von Oberstockstall, Kirchberg am Wagram, Wien 1997, S. 106. Zur modernen Reproduktion: Wunderlich, Christian-Heinrich; Lockhoff, Nicole; Pernicka, Ernst: De Cementatione oder: Von der Kunst, das Gold nach Art der Alten zu reinigen, in: Metalle der Macht. Frühes Gold und Silber, hg. von Harald Meller, Roberto Risch und Ernst Pernicka, Halle 2014, S. 353-366.

[4] Becher, Johann Joachim: Parnassus medicinalis illustratus. Oder: Ein neues, und dergestalt, vormahln noch nie gesehenes Thier- Kräuter- und Berg-Buch, sampt der Salernischen Schul, Ulm 1663, S. 58.

[5] Bei Ercker ist das Verhältnis 1:2. Verwendet wird in der Regel kein reines Antimon, sondern Antimonsulfid (Sb2S3).

[6] Agricola, Georg: De Re Metallica Libri XII. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen, Wiesbaden 2007, S. 391.

[7] Schlüter, Christoph Andreas: Gründlicher Unterricht von Hütte Werken. Worin gezeiget wird, wie man Hütten-Werke auch alle dazu gehörige Gebäude und Oefen aus dem Fundament recht anlegen solle, auch wie sie am Hartz und andern Orten angeleget sind, Braunschweig 1738, S. 186.

[8] Thölde, Johann (Hrsg.): Ein kurtzer summarischer Tractat Fratris Basilii Valentini Benedectiner Ordens. Von dem grossen Stein der uhralten/ daran so viel tausent Meister anfangs der Welt hero gemacht haben/ nebenst seiner selbst eigenen klaren repetition und kurtzen widerholung/ uber dasselbige geschriebene Büchlein: darinnen das rechte Liecht der Weisen nach Philosophischer art für augen gestelt/ Benebenst einem bericht/ von den fürnembsten Mineralien und ihren eigenschafften, Leipzig 1602, S. 30f. Die lateinische Fassung findet sich in: Musaeum hermeticum, reformatum et amplificatum, Frankfurt am Main 1678, S. 394.

[9] Zu einer historischen Deutung des Königspaars als Friedrich V. von der Pfalz und Elisabeth Stuart: Soukup, Rudolf Werner: Chemie in Österreich. Bergbau, Alchemie und frühe Chemie, Wien, Köln, Weimar 2007, S. 392f.

[10] Warlick, M. E.: Philosophic Mercury: Evolution of the Alchemical Feminine, in: Esotericism, Art, and Imagination, hg. von Arthur Versluis und Lee Irwin, East Lansing 2008, S. 67-90, hier S. 81.

[11] Agricola 2007, S. 392

[12] Durchgeführt von Christoph Jäggy, 23.-27.09.2021.

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